Wollen Städte nicht veröden und verkehrlich kollabieren, braucht es neue Wege. Was hier helfen kann und was das für die Logistik heißt, sagt Professor Walther Ploos van Amstel (Amsterdam University of Applied Sciences) in interview mit Eva Hassa für VerkehrsRundschau – Urbane Logistik Special.
In der urbanen Logistik gibt es mittlerweile sehr viele und innovative Startups und Forschungsprojekte. Trotzdem steigt der Verkehr in Städten und der CO2-Ausstoß nimmt weiter zu. Was läuft in der urbanen Logistik falsch?
In der urbanen Logistik läuft falsch, dass sowohl die Endverbraucher als auch die Unternehmen, etwa Restaurants und Baufirmen, immer mehr online bestellen. Das führt dazu, dass die Sendungsgrößen immer kleiner werden und die Anlieferfrequenzen steigen, weil die Firmen die gleiche Schnelligkeit wie beim Amazon-Einkauf erwarten. Das geht soweit, dass viele sogar Same-Day-Delivery wünschen. Deshalb nimmt die Zahl kleinerer Lieferfahrzeuge weiter zu. Wobei im Schnitt nur fünf Prozent des urbanen Verkehrs Paket-Zustellungen an Endkunden sind, während 95 Prozent des Verkehrs das Geschäftskundengeschäft (B2B) betreffen. Den allergrößten Anteil davon machen Transporte mit Baumaterialien aus, aber auch Lieferverkehre für Hotels, Restaurants und den Einzelhandel.
Was kann urbane Logistik also überhaupt leisten und was nicht?
Problem ist, dass die meisten Unternehmen ihre Logistik noch immer mit eigenen Fahrzeugen erbringen. Solche Transporte lassen sich kaum konsolidieren. Wenn wir aber unsere Verkehrsprobleme in den Städten lösen wollen, müssen wir konsolidieren. Und dafür müssen die Unternehmen in der Logistik ihre eigenen Mitarbeiter-, Fahrzeug- und Depot-kapazitäten teilen. Das ist in der urbanen Logistik die Zukunft.
Allerdings wollen das die Unternehmen nicht, weil sie ihren Kunden den besten Service bieten wollen und deshalb lieber mit eigenen Mitarbeitern und Fahrzeugen arbeiten. Um aber urbane Verkehre zu reduzieren, sollten sie ihre Waren an gemeinschaftlich betriebene Crossdock-Centern anliefern, dort bearbeiten und bündeln, und von dort aus mit vollausgelasteten Fahrzeugen in die Stadt fahren. Damit ließe sich, wie unsere Studien zeigen noch sehr viel Verkehr- und CO2 in Städten reduzieren. Stattdessen fahren Paketdienste noch immer zweimal am Tag halbleer in die Stadt.
Mittlerweile ist Quick-Commerce, die sehr schnelle Anlieferung binnen 15 Minuten, in Großstädten sehr beliebt. Ist das eine Eintagsfliege oder in der urbanen Logistik der Trend der Zukunft?
Das ist kein kurzfristiger Hype. Das geht nicht mehr weg. Im Gegenteil, das ist in der urbanen Logistik in der Tat die Zukunft. In den Niederlanden nutzen schon heute über eine Million Haushalte Quick Commerce. Das entspricht vier bis fünf Prozent Marktanteil. Und die Zahl nimmt stetig weiter zu. Es ist also eine große Konkurrenz für stationäre Lebensmittelgeschäfte. Vielleicht künftig auch für anderen Produktsegmente. Denn die Konsumenten in Großstädten wollen Quick Commerce. Das ist sehr erfolgreich. Und das ist auch gut so. Denn die Supermärkte in den Großstädten sind mit über 20.000 Produkten viel zu groß. Besser ist es komplette Mahlzeiten zu kaufen.
Werden wir uns also künftig alles liefern lassen?
Unbedingt ja. Das bringt große Vorteile für die lokale Einzelhändler.
Wird das aber den Verkehr in den Städten nicht weiter erhöhen?
Ganz im Gegenteil. Bislang sind wir alle mit eigenen Autos zum Einkaufen gefahren. Jetzt kommen die Waren zu mir mit einem Einkaufswert von 15 bis 20 Euro. Das lässt sich mit einem Lastenrad ausliefern. Quick Commerce hilft Verkehr in den Städten zu reduzieren. Denn die Lebensmittel kommen gebündelt mit wenigen Lkws zu den Darkstores. Und von dort aus liefert das Lastenrad die Güter nicht nur an einen Konsumenten aus, sondern an zwei, drei Konsumenten, also ebenfalls konsolidiert. Und wie gesagt die Endkunden-Auslieferung ist in den Städten verkehrlich nicht das Problem. Der Anteil liegt nur bei fünf Prozent. 95 Prozent des Verkehrs machen wie gesagt andere Branchen aus.
Gibt es eine Großstadt, die diese Probleme in der urbanen Logistik heute schon gut löst?
Lernen können wir hier von London. 35 Prozent der Baumaterialien werden auf der Themse befördert. Sehr erfolgreich ist auch die Ultra-Low-Emissions-Zone in London. Alle Fahrzeuge, die in die Stadt fahren, müssen über die höchste Euro-Norm-Klasse, also die modernsten Motoren, verfügen. Das reduziert enorm CO2. Außerdem hat sich die City-Maut in London sehr bewährt. Das hat deutlich die Verkehre reduziert. Vorbildlich ist auch Barcelona mit seinen vielen Smart-Mobility-Lösungen, zum Beispiel werden Lkw via Apps zu freien Ladezonen geführt, was Stau reduzieren hilft. Auch Amsterdam und Paris sind mit der Gründung neuer City-Urban-Center sehr erfolgreich. Dort teilen sich heute schon die Unternehmen Mitarbeiter-, Fahrzeug- und Depot-kapazitäten und fahren ihre Waren gebündelt in die Stadt.
Wie sieht also die Stadt der Zukunft aus, und was muss dafür konkret passieren?
Immer mehr Wohngebiete, Universitätsgelände und Stadtzentren werden in Zukunft autofrei sein. Transportplaner müssen ihre Zustelltouren also noch präziser unter Berücksichtigung der lokalen Vorschriften planen. Zudem sehe ich in Großstädten künftig Null-Emissions- Fahrzeuge und Cargo-Bikes. Außerdem wird es Zeitfenster geben, in denen Geschäfte beliefert und Wohngebiete angefahren werden dürfen. Kommunen sorgen für gute Be- und Entladebereiche sowie Paketstationen. Und auf der letzten Meile werden immer mehr Lieferanten und Paketdienste zusammenarbeiten. Gewöhnen Sie sich daran: Die urbane Logistik wird zur Präzisionslogistik.
Um das zu erreichen, hilft dreierlei. Erstens die Städte/die Kommunen müssen das Ganze regulieren, den Verkehr mit Verkehrssystemen besser koordinieren und entsprechend Flächen für Cross-Dock-Center zur Warenkonsolidierung bereitstellen. Zweitens müssen Plattformen in der Steuerung von Warenverkehren eine zentrale Rolle einnehmen. Plattformen können als Elemente funktionieren, um neue Transport- und Logistikketten mit automatisiertem Umschlag zu verknüpfen. Das birgt enorme Chancen zur Konsolidierung im innerstädtischen Güterverkehr. Und um Individualverkehr in Großstädten zu reduzieren, hilft die Einführung einer City-Maut.
Source: Eva Hassa für VerkehrsRundschau – Urbane Logistik Special.